Andreas Weinmüller

Andreas Weinmüller

Mitarbeiter
Österreich

Konrad ist Mitte 60 und vom Leben nicht verwöhnt. Vielleicht hat er auch selbst ein wenig dazu beigetragen. In seiner Jugend ging es ihm nicht einmal so schlecht. Bescheidener Wohlstand in den Jahren der Hochkonjunktur. Dann kamen Rationalisierungen und Konrad wurde arbeitslos. Nach einigen Wochen fand er wieder eine Firma, doch auch hier konnte er nicht bleiben. Dann folgten kurze Anstellungen in immer rascherer Abfolge.

 

Die Zeiten der Arbeitslosigkeit werden länger. Konrad versucht es hier und da, aber immer öfter hört er: „Zu alt, nicht qualifiziert, nein danke!“ Konrad kommt mit der Miete in Verzug. Aufschub und noch einmal Aufschub, dann ein Brief der Hausverwaltung, die Räumungsklage, obdachlos. Nun geht es mit Konrad rasant abwärts. Im Sommer schläft er auf Parkbänken. Im Herbst kommt der Nebel. Die Winter sind kalt.

 

Früher hat sich Konrad immer rasiert. Jetzt steht ein wilder Bart in seinem Gesicht, die Kleidung ist schon lange nicht mehr gewaschen. Die Kinder zeigen mit dem Finger auf ihn, die Erwachsenen wenden sich ab. Die Kälte setzt ihm zu. Das Atmen fällt ihm nicht mehr so leicht. Immer öfter spürt er ein Stechen in der Brust.

 

Zu seinem alten Hausarzt wagt er sich nicht. Die Ordinationshilfe würde ihn vielleicht gar nicht vorlassen, befürchtet Konrad. Spät in der Nacht werden die Beschwerden immer schlimmer. Schweißgebadet und vor Fieber zitternd schleppt er sich zur Nachtglocke unseres Spitals. Der Nachtportier öffnet und verständigt sogleich die diensthabende Ambulanzschwester.

 

Im Warteraum der Ambulanz nimmt Konrad Platz. Er ist nicht der Einzige: Eine Tochter wartet mit ihrem alten Vater, der müde aussieht. Eine junge Mutter hält ein Mädchen mit eingefallenen Wangen im Arm. Eine Großmutter wollte noch einmal ihre Enkel sehen – dazu ist sie aus der alten Heimat in weiter Ferne hierher nach Wien gereist. Nun geht es ihr schlecht. Die ganze Familie begleitet sie in die Ambulanz. Es wird in fremden Sprachen gesprochen, die Sorge steht ihnen im Gesicht: Wird der Doktor überhaupt untersuchen und helfen, so ganz ohne Geld?

 

Die Schwester fragt nicht: „Warum kommen Sie erst jetzt?“, sondern flink und freundlich nimmt sie die Daten der Patienten auf und organisiert die zuständigen Ärzte für die Untersuchungen. Ein Patient nach dem anderen wird aufgerufen und untersucht. Sie fragt nicht nach der Versicherung. Jeder wird behandelt.

 

Nun ist auch Konrad an der Reihe. Er muss aufgenommen werden.

 

Nach einigen Tagen geht es ihm besser. „Diesmal war es knapp“, meint der Oberarzt. Frisch gewaschen und rasiert ist Konrad gar nicht mehr wiederzuerkennen. Am Tag seiner Entlassung überrascht der Stationsleiter Herrn Konrad mit einem Paar neuer Socken, einer sauberen Hose und einer dicken Winterjacke. Die Jacke ist zwar etwas zu weit, aber sie hat viele Taschen, und das freut Herrn Konrad.

Österreichische Ordensprovinz des Hospitalordens des heiligen Johannes von Gott
Taborstraße 16
1020 Wien

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des Hospitalordens des
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